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Frage: Um klimaneutraler zu leben, benutzen manche Menschen z.B. anstatt Plastiktüten, Stoffbeutel, weil sie denken, dass es nachhaltiger sei. Die Herstellung von Stoffbeuteln ist jedoch auch nicht klimaneutral. Also hier zu meiner Frage: Gibt es Produkte, welche in ihrer Produktion komplett klimaneutral sind, stabil sind und wiederverwendbar bzw. recycelbar sind?
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Michael Arndt Beantwortet am 15 Mrz 2022:
Es ist richtig, das die Herstellung von Stoffbeuteln nicht komplett klimaneutral ist. Allerdings belastet jedes Produkt, das mehrmals wiederverwendet werden kann, bevor es entsorgt werden muss, die Umwelt und das Klima weniger als ein Einmalprodukt. Wiederverwendbarkeit ist also ein wichtiges Kriterium. Zusätzlich sollte auch bei der Produktion von wieder verwendbaren Produkten möglichst ein net zero Ansatz verfolgt werden, also keine klimaschädlichen Gase erzeugt werden. Ich könnte mir daher vorstellen, dass Beutel aus nachwachsenden Rohstoffen, die ohne hohen Energieeinsatz gefertigt werden diesem Ideal recht nahe kommen. Also beispielsweise Baumwoll- oder Jutebeutel, die mit minimalem Energieeinsatz (z.B. von Hand) gefertigt werden. Konkrete Hersteller oder Marken kann ich leider nicht nennen.
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Leonore Jungandreas Beantwortet am 15 Mrz 2022:
Liebe JudithF,
Ob es Produkte gibt, die diese Kriterien zu 100% erfüllen kann ich dir gar nicht sagen. Es gibt aber einen tollen Verein: Cradle2Cradle (C2C) – von der Wiege zur Wiege. Die Produkte die ein C2C-Zertifkat (von Bronze bis Platin) erhalten, werden wirklich sehr streng – von der Gewinnung aller enthaltener Rohstoffe, Lieferketten, Arbeitsbedienungen, Recyclefähigkeit und anderen Kriterien – auf ihre Nachhaltigkeit geprüft. Das Produkt sollte am Ende entweder vollständig kompostierbar oder recyclet werden können. Der Verein hat viele Unterkategorien wie zum Beispiel Kleidung, Möbel, Lebensmittel oder Bauen. Auf deren Seite gibt es auch Listen über alle zertifizierten Produkte! Sicherlich gibt es auch Produkte die dort nicht auftauchen, denn so ein Zertifikat ist teuer, aber man bekommt einige Ideen und Anstöße auf was man beim Kauf dann selbst alles achten kann. -
Luca Schmidt Beantwortet am 15 Mrz 2022:
Grundsätzlich kann man wohl sagen, dass kein vom Menschen gefertigtes Produkt völlig klimaneutral ist. Wenn eine Firma, die Produkte herstellt, oder wir als Konsumenten dieser Produkte allerdings eine Form der CO2-Kompensation betreiben, beispielsweise indem wir Bäume pflanzen oder auf andere Weise CO2 aus der Atmosphäre holen, dann kann die Herstellung unterm Strich als klimaneutral bezeichnet werden.
Aus Sicht des Klimaschutzes ist es aber immer am besten, Produkte erst gar nicht herzustellen und somit das CO2 gar nicht erst auszustoßen. Und hier kommen wir zurück zur Frage der Einkauftüten, die leider etwas kompliziert ist.Wenn man die Tüte immer nur einmal benutzt und damit auf Dauer also sehr viele Tüten „verbraucht“, dann könnte man sagen, dass Plastiktüten unterm Strich besser sind, denn sie brauchen zur Herstellung weniger Energie als beispielsweise Baumwollbeutel. Ich sage „könnte“, weil der CO2-Ausstoß ja nur eine Facette des Problems ist. Eine andere Facette ist die Müllentsorgung. Baumwollstoffe sind prinzipiell biologisch abbaubar, Plastik eher nicht. Aber nehmen wir der Einfachheit halber mal an, es ginge nur um die CO2 Bilanz, dann würden wir der Plastiktüte den Vorzug geben.
Jetzt ist so ein Wegwerf-Lebensstil natürlich nicht sehr klug und sollte nicht unser Ziel sein. Wiederverwendung ist also angesagt. Hier beginnt der Stoffbeutel dann besser zu werden, denn wir können ihn viel häufiger verwenden bis er kaputt geht als die Plastiktüte. Studien haben aber gezeigt, dass man den Stoffbeutel echt häufig verwenden muss (ca. 170 Mal), bis er „pro Einkauf“ eine bessere CO2-Bilanz hat als die Plastiktüte. Wenn man nur einen Stoffbeutel hat und den immer wieder benutzt, ist das also nachhaltiger. Besitzt man hingegen mehrere Duzend davon, dann kann man vermutlich in seinem ganzen Leben nicht häufig genug einkaufen gehen, um die Bilanz aller Beutel besser zu machen als Plastiktüten.
Fazit: Ein stabiler Stoffbeutel ist das Mittel der Wahl, aber man sollte ihn benutzen bis er nicht mehr zu gebrauchen ist und erst dann einen neuen anschaffen. Und wirkliche Klimaneutralität geht (soweit ich weiß) nur durch Kompensation. 🙂
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Andreas Braun Beantwortet am 15 Mrz 2022: last edited 15 Mrz 2022 21:23
Ja, das ist sehr berechtigt. Die meisten Produkte sind nicht 100% klimaneutral. Was noch erschwerend hinzu kommt: Produkte haben einen Lebenszyklus (life cyle). Im Englischen sagt man „from cradle to grave“: also von der Krippe, bis ins Grab. Es beginnt mit der Gewinnung der Ausgangsprodukte, die für die Produktion gebraucht werden. Dann kommt die Produktion. Dann die Nutzung, irgendwann die Entsorgung (oder Recylcing etc. dann ist es cradle to cradle). Auf jeder Stufe des Lebenszyklus können u.A. Emissionen entstehen. Es ist sehr schwer, als Nutzer:in einzuschätzen, ob ein Produkt „nur“ in der Produktion klimafreundlicher ist, oder entlang des gesamten Lebenszyklus. Sowas erfasst man mit Life Cycle Assessments, aber die stehen dem/r Verbraucher:in natürlich kaum zur Verfügung. Wer steht schon im Elektronikgeschäft, hat einen angeblich energiesparenden Stabmixer in der Hand und fragt sich: „Hhhm, wieviele Emissionen fallen wohl dabei an, wenn das Ding entsorgt wird?“
Ich glaube aber, was wichtig ist, ist auch nicht ZU dogmatisch zu werden. Bitte denk immer daran. Emissionsminderung ist nicht nur sinnvoll, wenn 0 Emissionen entstehen. Jede Verminderung – auch eine von 100 auf 90 – ist sinnvoll. Natürlich sollten wir alle versuchen, möglichst nahe an die 0 zu kommen. Trotzdem bin ich dafür, es auch hier nicht zu übertreiben. Wenn man wirklich versucht, nur noch Produkte zu kaufen, die VÖLLIG emissionsfrei sind, dann ist das mit einer „normalen“ Lebensführung kaum noch vereinbar. Du machst dann nichts mehr anderes, als Produkte vergleichen. Ich glaube, das ist auf Dauer schwer durchzuhalten und wir brauchen einen dauerhaften Wandel. Es hat noch einen weiteren Nachteil: du möchtest ja mit deinem Lebensstil auch Vorbild für andere sein, die von Klimaschutz vielleicht noch nicht so überzeugt sind. Wir wollen ja möglichst viele Menschen überzeugen, Emissionen zu sparen. Wenn der Eindruck entsteht: „Klimaschutz geht nur, wenn ich in allem und bei jedem Produkt aufpassen muss“, dann werden sich dem nicht allzu viele anschließen. Das ist dann aber kontraproduktiv. Was wichtig ist, ist ja aufzuzeigen: „Hey, Klimaschutz lohnt sich und die ersten wichtigen Schritte dahin sind ja gar nicht so schwer“. Das motiviert 🙂
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Maren Nattermann Beantwortet am 16 Mrz 2022: last edited 18 Mrz 2022 11:06
Die Kollegen haben dir schon gute Antworten gegeben! Ich möchte noch kurz hinzufügen, dass es außer der CO2-Bilanz noch einen anderen, extrem wichtigen Faktor gibt: Wasserverbrauch.
Wir haben ein großes Problem mit sinkenden Grundwasserspiegeln, die den Klimawandel weiter vorantreiben (Indem sie z.B. Bäume absterben lassen, Erosion verstärken und die Ausbreitung von Brachland und Wüsten beschleunigen). Zum Beispiel In Australien und einigen Staaten der USA muss Grundwasser schon rationiert werden.
Nun können manche Produkte zwar beinahe CO2-neutral und biologisch abbaubar hergestellt werden, aber massiv Wasser zur Produktion benötigen. Zum Beispiel ist das bei Jutetüten so. Plastik braucht – da es komplett chemisch aus Erdöl hergestellt wird – extrem wenig Wasser zur Produktion, pflanzliche Faserstoffe brauchen erst Wasser zum Wachsen und müssen dann gewaschen werden.
Mehr dazu hier:
(Ich hatte hier noch einen Satz zu Pflanzenmilch stehen, aber das ist etwas am Thema vorbei und auch nicht ganz trivial, also habe ich ihn entfernt)
Aber, wichtig: solange du die Tüten wiederverwendest, sieht die Bilanz ganz anders aus. Das gilt natürlich auch für Plastik.
Auch interessant: Forscher arbeiten schon seit lange an „Bioplastik“, das schneller im Boden zersetzt wird als herkömmliches Plastik, sowie an Plastik fressenden Bakterien, die eine ganze Reihe an Kunststoffen abbauen können. Leider werden unsere herkömmlichen Arten von Plastik momentan entweder gar nicht oder sehr schlecht von diesen Bakterien zersetz; und Bioplastik hat nur begrenzte Einsatzmöglichkeiten, da es weniger langlebig ist (was ja auch irgendwo der Sinn ist).
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Sabine Reinecke Beantwortet am 16 Mrz 2022:
Wirklich gute Frage. Noch kniffliger wird das bei Papiertüten. Denn die halten nicht unbedingt länger als eine Plastiktüte. Aber in die Produktion von (Recycling)Papier muss viel mehr Energie und Wasser fließen als in die von Plastik. Hier wurden schon viele kreative Ideen und Initiativen beschrieben und was es mit cradle-to-cradle auf sich hat. Ich bin selbst in der DDR groß geworden. Ein Land das von Mangelwirtschaft geprägt war. So viele Dinge, die man wirklich gebrauchen konnte, gab es einfach nicht. So war die Wiederverwendung bzw. handwerkliche Veränderung von anderen abgenutzten Artikeln (ja, Müll) quasi „Volkssport“. Eines meiner ersten Fächer im Schulunterricht mit 6 Jahren war tatsächlich „Werken“ und „Handarbeit“. Ein wichtiger Energieschlucker ist ja immer die industrielle Produktion von (Recycling) Produkten. Aber Handarbeit geht auch ohne Strom. Wer Zeit und Spaß am Basteln /Nähen hat, der macht so eine Tasche locker aus einem irreparablen oder wirklich nie getragenen Rock, Kopfkissen oder Hosenbein selbst. Hosen oder Rockbund sind oft stabil genug für die Trageschlaufen und es ist einfach. Man sollte aber natürlich keinen sog. „Rebound“ Effekt anstoßen. Das heißt, nur weil der Rock /die Hose dann weg ist, wird mal direkt neu gekauft, was wieder mit viel Energieeinsatz produziert werden muss. Manche Menschen schwören auch auf Weidekörbe, die man auch am Fahrrad (Gepäckträger) super „anschnallen“ kann. Manche können sowas sogar selbst flechten. Das ist aber was für Fortgeschrittene. Als „holziges“ Produkt mit langer Lebensdauer ist es aber auch ein feiner temporärer Kohlenstoffspeicher, und so tatsächlich wohl ein heißer Kandidat für „klimaneutral“. Manchmal hat man Glück ein sehr gut erhaltenes Stück auf einem Flohmarkt zu ergattern. So muss das nicht mal neu produziert werden, nicht mal in Handarbeit.
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Kommentare
Luca commented on :
Stimmt, der Punkt von Maren ist sehr wichtig! Wasser und auch beispielsweise gesunde Böden, die noch viele Generationen nach uns ernähren können, muss man immer mitdenken.
Zum Thema Pflanzenmilch würde ich noch hinzufügen, dass die Kuh ja nicht nur die Weide braucht, sondern auch Futtermittel, die wiederum auf großen Anbauflächen wachsen. Wenn man das mit einkalkuliert, ist die Pflanzenmilch wieder ganz klare Gewinnerin.
Maren commented on :
Du hast tatsächlich Recht mit dem Wasserverbrauch von Kuhmilch (ich habe das oben korrigiert), aber man muss bei Pflanzenmilch tatsächlich auch auf den Wasserverbrauch achten; zum Beispiel Reis- und Mandelmilch verbrauchen auch ungeheure Mengen an Wasser.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1179343/umfrage/wasserverbrauch-von-kuhmilch-und-pflanzlicher-milch/
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und „wissenschaftlich“ gesehen:
https://www.science.org/doi/10.1126/science.aaq0216
Maren commented on :
Und selbst da sind sich die Wissenschaftler wohl nicht ganz einig, eine Studie von Grant & Hicks in 2018, „Comparative Life Cycle Assessment of Milk and Plant-Based Alternatives“ in Environmental Engineering Science redet von einem höheren Wasserverbrauch von Kuhmilch gegenüber Mandelmilch und einem ähnlichen gegenüber Sojamilch. Auch interessant ist, wie sich die Zahlen ändern, wenn man statt gegen Liter gegen Proteingehalt normalisiert.
Leider ist die Studie nicht open access, aber unser MPG Zugang funktionert:
https://www.liebertpub.com/doi/full/10.1089/ees.2018.0233
Versteh mich bitte nicht falsch, ich bin deiner Meinung, dass wir alle weniger tierische Produkte verzehren sollten, aber grade bei den veganen und vegetarischen Alternativprodukten gehen die Meinungen zu Vor- und Nachteilen, auch in der Wissenschaft, doch sehr weit auseinander.